Lebensmittelverschwendung: Warum wir die Lebensmittelindustrie neu denken müssen

Kennt ihr das? Ihr geht zur Mülltonne und erschreckt immer wieder, wie Leute ganze Brote, noch essbares Obst und Gemüse oder auch vollständig verpackte Käsepackungen wegwerfen. Oder ihr seht halb aufgegessene Gerichte im Restaurant und wisst genau, dass die Reste entsorgt werden? Lebensmittelverschwendung ist überall sichtbar in Deutschland und wir nehmen sie viel zu oft einfach so hin.

Lebensmittelverschwendung ist aber ein Problem, das es dringend zu lösen gilt. Deshalb waren wir sofort dabei, als Köchin und Autorin Sophia Hoffmann mit der Idee einer Videoreihe zum Thema „Zero Waste Cooking“ auf uns zukam. Wir arbeiteten gerade an den Teasern zu ihrem neuen Buch „Zero Waste Küche“ und bauten die Idee konzeptionell weiter aus. Doch so eine Videoreihe bezahlt sich nicht von selbst. Also reichten wir gemeinsam mit Sophia unser Konzept als Projekt beim Bundespreis „Zu gut für die Tonne!“ 2019 ein.

 

Preisverleihung des Bundespreises 2019 – Zu gut für die Tonne. Berlin, 03.04.2019. Copyright: Janine Schmitz/ photothek.net/ Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft

Der Wettbewerb

Da auch die Bundesregierung – zumindest zum Teil – das Ausmaß des Problems erkannt hat, lobt sie seit 2016 den Bundespreis “Zu gut für die Tonne!” aus. Im Rahmen einer groß angelegten Kampagne vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zeichnet der Wettbewerb unter dem Juryvorsitz von Bärbel Dieckmann, ehemalige Präsidentin der Welthungerhilfe e. V., Projekte, Unternehmen und Ideen aus, die sich gegen Lebensmittelverschwendung einsetzen. 2018 waren das beispielsweise SirPlus, Dingsdums Dumpling oder die Bildungsinitiative “Wirf mich nicht weg”. Dieses Jahr wurden unter anderem die App To Good To Go oder das auf Brot basierende Bier „Knärzje“ vom SHOUTOUTLOUD e.V. ausgezeichnet. Wir bekamen zusammen mit Sophia Hoffmann den “Förderpreis” überreicht und haben dank dem damit verbundenen Preisgeld den ersten Grundstein für unsere Videoreihe.

Als wir von der Nominierung erfahren haben, haben wir uns natürlich total gefreut (man munkelt, dass Nina sogar vor Freude aufgeschrien hat…). Schließlich ist eine Nominierung immer auch ein Zeichen von Wertschätzung. Und ja: Eine Auszeichnung kann auch eine gewisse Strahlkraft haben. Für uns als start-up sind Preise wichtig, denn sie helfen uns, weiterhin Fuß zu fassen und andere von unserer Arbeit zu überzeugen. Gleichzeitig denken wir, dass wir Preise immer auch kritisch hinterfragen sollten, auch wenn wir davon profitieren. Zumal der Bundespreis “Zu gut für die Tonne” in erster Linie ein politischer Preis ist.

 

Melanie und Nina auf der Preisverleihung. Copyright: Janine Schmitz/ photothek.net/ Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft

Lebensmittelverschwendung in Zahlen

Lebensmittelverschwendung ist leider kein Luxusproblem, das nur die Ökobewegung tangiert. Am eindrücklichsten erkennt man das an den Zahlen. So werden momentan Lebensmittel für 12 Milliarden Menschen produziert. Auf der Erde leben circa. 7,63 Milliarden Menschen. Davon müssen 1 Milliarde Menschen hungern. Weltweit werden 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel weggeschmissen. In Deutschland werfen Verbraucher*innen jährlich 11 Millionen Tonnen Lebensmittel weg (Quelle: WWF und Die deutsche Bundesregierung).

 

Wer trägt die Verantwortung?

Wenn die Bundesregierung dann verkündet, bis 2030 die Lebensmittelverschwendung um 50 Prozent zu kürzen, dann fragen wir uns angesichts der Zahlen schon, wie das so schnell gehen soll. Dass es in Deutschland kein Gesetz, wie etwa in Frankreich, geben wird, hat Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner auf der Preisverleihung nochmal klar und deutlich zum Ausdruck gebracht. In Frankreich wird dem Großhandel verboten, unverkaufte Lebensmittel wegzuschmeißen oder diese unverkäuflich zu machen. Die unverkauften Lebensmittel werden somit gespendet. Laut Julia Klöckner wären die Tafeln in Deutschland mit diesem Prinzip überfordert und könnten die Spenden nicht händeln. Selbst wenn dem so wäre, scheint es uns, dass dies ein händelbares Problem ist. Schlussletztendlich bedeutet diese Entscheidung, dass das von der Bundesregierung ambitioniert gesteckte Ziel auf der Basis freiwilliger Selbstverpflichtung erreicht werden muss.

Wie schwierig das ist, sieht am Beispiel des freiwilligen Zusammenschlusses des Textilbündnis in der Modeindustrie unter Leitung des Bundesministeriums für Entwicklung und Zusammenarbeit. Und letztlich bedeutet das leider auch, dass vieles auf die Bürger*innen umgemünzt wird. So heißt es in einer Pressemitteilung der Bundesregierung aus dem Jahr 2016 zum 2030-Ziel: “Verhaltensänderungen benötigen jedoch Zeit. Deshalb flankiert die Bundesregierung die Initiative mit einer jährlichen Verleihung eines Bundespreises für innovative Ideen gegen die Verschwendung.” Passend hierzu sind eine Menge Tipps aufgeführt, wie wir als Verbraucher*innen unser Verhalten ändern können.

 

Wir müssen die Lebensmittelindustrie neu denken

Unser Punkt ist, dass eine medienwirksame Veranstaltung allein nicht genügt. Das ist zwar schön für das Portfolio, aber ein Preisgeld von insgesamt 15.000 Euro für drei von 120 Projekten zu vergeben, ist im großen Gesamtbild ein Tropfen auf dem heißen Stein (auch wenn ein Fördergeld in Höhe von 5.000 Euro für uns natürlich eine gute Starthilfe ist). Was wir damit sagen möchten: Alle nominierten Projekte – viele davon können schon beeindruckende Nachweise darüber erbringen, wie viele Tonnen an Lebensmittel sie durch ihre entwickelten Maßnahmen einsparen – brauchen finanzielle Unterstützung, wenn wir in der Produktion, im Handel und bei den Verbraucher*innen die Lebensmittelabfälle drastisch reduzieren wollen und die Lebensmittelindustrie als wachstumsorientierten Wirtschaftszweig neu denken müssen. Und genau hier kann die Politik ansetzen.

Natürlich können wir als start-up, das sich für gesellschaftliche Veränderungen einsetzt und Probleme sichtbar(er) macht, und auch als Einzelperson alle punktuelle Beiträge leisten. Jedoch müssen effektive Maßnahmen, die das Thema Lebensmittelverschwendung gesellschaftsübergreifend denken, unserer Meinung nach von der Politik durchgesetzt werden.

Zusammen mit Sophia Hoffmann wollen wir uns nun an der konkreten Konzeption einer Videoreihe zum Thema Lebensmittelwertschätzung arbeiten. Damit wir einen echten Beitrag leisten können, müssen wir jetzt überlegen, wie wir das Ganze öffentlichkeitswirksam gestalten können.